Paulus richtet sich selbst

Paulus verurteilt sich durch seine eigenen Briefe, er spricht sich selber ein Urteil. Röm. 2,1 lautet: Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. (2) Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. (3) Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Ähnlich heißt es in Röm. 14,4, wo es um das Essen von Götzenopferfleisch geht: Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er wird aber stehen bleiben; denn der Herr kann ihn aufrecht halten. So lautet schon ein Herrenwort in Mt. 7,1: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Aus demselben Mund soll nicht Segen und Fluch kommen. Paulus hat viel geistliche Erkenntnis vermittelt; viele seiner Aussprüche habe ich mir angeeignet, bis sie ein Teil meines inneren Menschen geworden sind. Aber der Fluch scheint bei Paulus zur Standardausrüstung zu gehören. Er gibt Menschen in die Hand des Satans, wenn diese „Sünde“ auf sich geladen haben. Das ist noch nachvollziehbar, wenn es dabei um einen Fall geht, wo der Geist gerettet werden soll, also mit einiger Fantasie eine positive Auswirkung für den Verfluchten anzunehmen ist (1. Kor. 5, 1-5). Nicht mehr nachvollziehbar ist es bei Hymenäus und Alexander, wo nur angemerkt wird, dass Paulus sie dem Satan übergeben hat, damit sie in Zucht genommen werden und nicht mehr lästern (1. Tim. 1, 20). Ein positiver Effekt für die Leute, die er verflucht hat, ist hier nicht zu entnehmen. Menschen zu verfluchen, um sie den eigenen Vorstellungen genehmer zu machen, ist ein abstoßendes Verhalten und kaum zu rechtfertigen. Es wird nirgendwo im NT berichtet, dass seine Übergabe an den Satan „Erfolg“ hatte. Zweifelsohne ist die Situation, der Paulus begegnete, aus den wenigen Worten nicht zu erschließen. Aber  vom Körper des glaubenden Menschen sollen Ströme lebendigen Wassers fließen (Joh. 7,38), nicht Krankheit und Zerstörung aus seinem Mund.

1. Kor. 9, 1 bläst er sich auf mit seiner „Berufung“: Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht unsern Herrn Jesus gesehen? Seid nicht ihr mein Werk in dem Herrn? Nur was „dezent“ verschwiegen wird: Menschen haben Bestätigungen für ihre Berufung gefordert, aber noch nie ist jemand dabei vorübergehend blind geworden - außer Paulus. Er hat schlichtweg von Jesus die dunkelrote Karte erhalten, weil er mit vollem Hass die Gemeinde Jesu verfolgt hat. Es ist nicht das eigene Herz gewesen, das ihn zur Umkehr gebracht hat, sondern eine Kraft, der er nichts entgegensetzen konnte. Die erste „Tat“, die die Apostelgeschichte von ihm berichtet, ist die Verfluchung des Zauberers Simon mit vorübergehender Blindheit! Diese Komik ist nicht amüsant. Es passt aber zu Paulus… Er droht an einer Stelle der eigenen Korinthergemeinde „Strenge“ an, wobei er Vollmacht anführt, die ihm der Herr gegeben hat, zu erbauen, nicht zu zerstören (1. Kor. 13, 10). Dann soll er sich auch danach richten! Paulus hat abstoßende Züge, für die ich keine Entschuldigung finde. Richten und Fluchen scheinen sehr viel von seiner Zeit eingenommen zu haben. An zwei Stellen in den Briefen bezieht er gegen Richten und Fluchen Stellung: 1.Kor. 4,12: Man schmäht uns, so segnen wir. Über den „Segen“ des Paulus werden sich Hymenäus und Alexander nicht gefreut haben. Röm. 12,14: Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Danach scheint Paulus sich selbst nicht zu richten.

Paulus kennt für die Gegenwart, in der er lebt, keinen Trost. Er bemüht sich gar nicht erst darum. Seine Situation ist allerdings völlig anders als unsere heutige. Seit 2000 Jahren warten wir auf die Parusie Jesu, in der Gegenwart rechnet deshalb kaum jemand damit, dass Jesus „morgen“ kommt. Deshalb klingt es fast kurios bei der kurzen Zeitspanne, die er beachten muss, wenn Paulus in Röm. 13, 11 ausführt: Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Diese Parusie hat er für die nächste Zukunft erwartet, wie man auch aus anderen Stellen entnehmen kann. Mit einer Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen hat er dabei wohl gerechnet. So sind dann auch seine Aussagen einzuordnen, die richtig modern klingen: Gal. 3,28: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Aber in seinen Briefen finden sich auch viele Aussagen, die die bestehenden Verhältnisse betonieren und unserer Zeit nicht mehr angemessen sind. Schwierigkeiten entstehen dann, wenn man die Paulusbriefe als „Gottes Wort“ in die Gegenwart überträgt, ihnen also eine Autorität gibt, die noch nicht einmal er selbst beansprucht, denn er unterscheidet sogar das, was er selber sagt, von dem, was der Herr sagt (1. Kor. 7, 10.12). Auf gesellschaftlich wichtige Fragen wie Emanzipation, Abschaffung von Sklaverei möchte ich jetzt nicht näher eingehen, sondern mich auf die Person Paulus konzentrieren. Paulus war vor seiner Bekehrung vielleicht ein Mörder. Dafür will ich ihn bestimmt nicht verurteilen, denn der Herr selbst hat ihm verziehen. Nur überzeugt mich die Selbstkritik des Paulus nicht. Ob er aus seinen Fehlern wirklich gelernt hat, beurteile ich aus seinen Briefen. Die Benennung „Mörder“ wird zwar nirgendwo gebraucht, aber wenn die Aussagen in Apg. 26, 10+11 authentisch und richtig sind, erscheint mir diese Bezeichnung angemessen. Wenn jemand seine Stimme dazu gibt, dass Menschen getötet werden, nenne ich diesen einen Mörder. Die Bekehrung – das sog. Damaskuserlebnis – wird in Gal. 1, 13-17 von Paulus selbst geschildert. Dass Menschen durch ihn umkamen, ist dort nicht zu entnehmen. Wenn aber die Schilderung der Apostelgeschichte zutrifft, ist das ein erbärmliches Nichteingestehen von eigenen Fehlern durch Paulus. Lukas aber, der die Apostelgeschichte verfasst hat, ist in seinen Beschreibungen über Paulus freundlich, wie er auch dessen Erwählung immer wieder betont. Eine bewusst falsche Angabe erscheint mir unwahrscheinlich. Bei seiner Beschreibung des Damaskuserlebnisses (Apg. 9+22+26) ist nirgendwo die Rede davon, dass Paulus die Verfolgung der Gemeinde im Herzen bereut. Es ist nur die Offenbarung der Kraft Jesu, die ihn zur Umkehr bringt. Das erscheint mir sehr kalt, aber auch einige Aussagen in den Briefen des Paulus sind ziemlich kalt. Es ist nicht mehr zu entscheiden, ob die Darstellung von Lukas objektiv ist.

Es sind einige Stellen in den Briefen vorhanden, die die Arroganz des Paulus offenbaren. Beispielsweise stellt er in seinem wichtigsten Brief, dem Brief an die Römer, die Sünde aller Menschen vor Gott heraus. In Gal. 2, 15 sagt er zu Petrus, dem er Vorwürfe macht, weil dieser sich heuchlerisch verhält: Wir sind von Geburt Juden und nicht Sünder aus den Heiden. Diese Gegenüberstellung zeigt, dass er Juden für sündlos hält gemessen an Heiden, obwohl er Erfolg bei seiner Mission nur unter Heiden hat. Der Römerbrief ist zwar einige Jahre später verfasst worden als der Galaterbrief, aber die Wertung im Galaterbrief ist für Heiden kränkend. Heiden sind übrigens nicht etwa ungläubige Menschen, wie manche Leser sich das vielleicht zurechtlegen, sondern wir fast alle als unbeschnittene Personen. In Kol. 1,24 heißt es: Nun freue ich mich in den Leiden, die ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt, für seinen Leib, das ist die Gemeinde. Für Jesus, der das Kreuz ertragen hat, ist dieser Satz schlichtweg beleidigend. Jesu Leid war wohl nicht groß genug, um alle zu retten, sondern muss durch die Leiden eines Apostels „ergänzt“ werden. Vielleicht bezieht sich Paulus sogar auf seine eigene Krankheit, den „Pfahl im Fleisch“. In diesem Fall ist das ein simples „Schönreden“ einer eigenen Schwäche. Paulus kündigt an, lieber sterben zu wollen, als sich seinen Ruhm vernichten zu lassen (2. Kor 9,15) – damit meint er, umsonst in Korinth gepredigt zu haben. Leider hat er das bis zu den Philippern vergessen, denn er bedankt sich höflich bei ihnen, denn er sagt Phil. 4,15: keine Gemeinde hat mit mir Gemeinschaft gehabt im Geben und Nehmen als ihr allein. (16) Denn auch nach Thessalonich habt ihr etwas gesandt für meinen Bedarf, einmal und danach noch einmal. Dieses inkonsequente Denken ist öfters feststellbar. So bemerkt er Gal. 2,3: Aber selbst Titus, der bei mir war, ein Grieche, wurde nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen. Das sagt er im Bezug auf das „Apostelkonzil“. Ein wenig später, als er sich auf die 2. Missionsreise befindet, lässt er sich von einer anderen Situation beeinflussen: Apg. 16,2+3: Timotheus (Sohn einer jüdischen Frau, die gläubig war, und eines griechischen Vaters) hatte einen guten Ruf bei den Brüdern in Lystra und Ikonion. (3) Diesen wollte Paulus mit sich ziehen lassen und er nahm ihn und beschnitt ihn wegen der Juden, die in jener Gegend waren; denn sie wussten alle, dass sein Vater ein Grieche war. Diese Beschneidung wird in keinem Brief erwähnt, sie nützt ihm schließlich nichts, um bei den Lesern Eindruck zu schinden. Paulus scheint eine besondere Perfektion entwickelt zu haben, um Leute gegeneinander auszuspielen. So bringt er Pharisäer und Sadduzäer gegeneinander auf, indem er sich als Pharisäer deutlich zu dieser Gruppe stellt: Apg. 23, (6) Als aber Paulus erkannte, dass ein Teil Sadduzäer war und der andere Teil Pharisäer, rief er im Rat: Ihr Männer, liebe Brüder, ich bin ein Pharisäer und ein Sohn von Pharisäern. Ich werde angeklagt um der Hoffnung und um der Auferstehung der Toten willen. (7) Als er aber das sagte, entstand Zwietracht zwischen Pharisäern und Sadduzäern und die Versammlung spaltete sich. Diese Art Geschicklichkeit begeistert mich bei einem Gotteskind nicht. Luk. 16,8 sagt nämlich Jesus: Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Paulus benimmt sich wie ein Kind dieser Welt.